Unsere Antwort auf die Pressemeldung der Kreisstadt Erbach

Am Mittwoch erreichte uns folgende Pressemeldung des Magistrats der Kreisstadt Erbach:

Kreisstadt Erbach verlässt die Bürgerinitiative „Odenwald gegen Rechts“

Auf seiner Sitzung am 10. Mai 2021 hat der Magistrat der Kreisstadt Erbach beschlossen, die Bürgerinitiative „Odenwald gegen Rechts“ nicht länger zu unterstützen. Ein im Mai 2015 unter dem damaligen Bürgermeister Harald Buschmann gefasster Beschluss zur Unterstützung der Initiative wurde damit wieder aufgehoben.

Ausschlaggebend für diesen Schritt ist, dass sich eine Stadt politisch neutral verhalten sollte. Bei ihrer Gründung im Jahr 2005 wandte sich die Initiative vor allem gegen ein Erstarken der NPD im Kreisgebiet. Heute geht es der Initiative nicht zuletzt um eine politische Positionierung gegen die AfD. Es ist jeder Bürgerin und jedem Bürger freigestellt, sich der Initiative „Odenwald gegen Rechts“ anzuschließen – Erbach als Stadt kann jedoch keine Initiative unterstützen, die sich explizit gegen eine demokratisch ins Erbacher Parlament gewählte Partei wendet.

Die Kreisstadt weist darauf hin, dass sie politischen Extremismus auf beiden Seiten des politischen Spektrums verurteilt. Mit diesem Schritt soll die Grenze zwischen privatem Engagement und dem neutralen Handeln einer Stadt, die alle Bürgerinnen und Bürger vertritt, gewahrt werden.

(11.05.2021)

Pressemeldung als PDF

Wir sind erstaunt und fassungslos zugleich. Wir können diese Mitteilung und die Begründung nicht unkommentiert lassen. Daher haben wir, gemeinsam mit Bunt ohne Braun – Bündnis gegen Rechts im Landkreis Darmstadt-Dieburg, einen Offenen Brief an den Bürgermeister und den Magistrat der Kreisstadt Erbach verschickt sowie die Presse informiert.

Offener Brief an den Bürgermeister und den Magistrat der Kreisstadt Erbach

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Dr. Traub,
Sehr geehrte Damen und Herren vom Magistrat der Kreisstadt Erbach,

mit Erstaunen und Entsetzen haben wir Ihre Entscheidung zur Beendigung der Zusammenarbeit mit der Bürgerinitiative „Odenwald gegen Rechts“ zur Kenntnis genommen.

Der 8. Mai (Kriegsende 1945 – Tag der Befreiung) ist gerade ein paar Tage her. Überall in Europa wurde an diesem Tag an die Befreiung durch die Alliierten aus Ost und West erinnert. Es wurde gefeiert und gemahnt. Denn vor 76 Jahren ging die Schreckensherrschaft der Nazis zu Ende.
60 Millionen Tote! Unzähliges Leid! Das größte Menschheitsverbrechen in der Geschichte überhaupt!

Ihre Argumentation/Begründung der Aufkündigung der Zusammenarbeit spiegelt aus unserer Sicht genau das Verhalten der 1920er/30er wider. Falschverstandene Neutralität, Verharmlosung und Ignoranz machte den Aufstieg der Nazis erst möglich.

Schon vergessen? Hier zur Erinnerung:

  • Im Reichstag der Weimarer Republik zunächst als unbedeutende Partei geduldet und unterschätzt, gelang Hitlers NSDAP am 30. Januar 1933 die Machtübernahme. 1)
  • In den Jahren zuvor hatten weder Hindenburg noch die vorangegangenen Regierungen etwas gegen die offensichtlich verfassungsfeindliche Partei unternommen. Man gedachte, sie zu zähmen, duldete ihre Aktionen, schlug sogar eine Regierungskoalition vor und verhalf Hitler und seiner Gefolgschaft damit auch zur Salonfähigkeit. 1)
  • Nur wenige Wochen später (nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler*) nutzen die Nationalsozialisten die legale Machtübergabe und den bereits in den Jahren zuvor praktizierten Missbrauch der Notverordnungen zur Gleichschaltung und Unterdrückung aller politischen Gegner. Wie Joseph Goebbels einst versprach: „Wir sind legal bis zur letzten Galgensprosse, aber gehenkt wird doch.“  1)

Ja, die Situation heute ist eine andere und nicht 1:1 übertragbar. Die Welt hat sich verändert. Aber dennoch zeigen sich (erschreckende) Parallelen. Damals, wie heute, wird die braune Gefahr unterschätzt!

Zur Information:

Die AfD wird vom Verfassungsschutz in Teilen als gesichert extremistisch eingestuft und beobachtet. So etwa in Thüringen. […] (Aber*) Nicht nur in Thüringen, sondern auch in Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt werden die jeweiligen Landesverbände der AfD inzwischen als Verdachtsfall eingestuft.2)

Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz sah verfassungsfeindliche Bestrebungen, nur darf es bis zum Abschluss der anhängigen Gerichtsentscheidung noch nicht tätig werden.

Im März 2020 wurde „Der Flügel“ vom Bundesamt für Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ eingestuft. Seitdem werden seine Vertreter nachrichtendienstlich beobachtet. […] Über eine tatsächliche Auflösung liegen dem Verfassungsschutz keine gesicherten Erkenntnisse vor. 3)

Hier sieht man ganz klar eine Parallele zu den oben genannten Punkten.

Sie dulden und unterstützen mit Ihrer Entscheidung indirekt rechtsextremistische Bestrebungen in Form der Verharmlosung der AfD (Salonfähigkeit).

Sie schreiben in Ihrer Pressemitteilung vom 11.05.2021 4): „Erbach als Stadt kann jedoch keine Initiative unterstützen, die sich explizit gegen eine demokratisch ins Erbacher Parlament gewählte Partei wendet.“. Ihre Aussage lässt darauf schließen, dass das dann auch für andere (rechts-)extremistische Parteien gilt, solange sie nur demokratisch gewählt werden.

Und weiter schreiben Sie: „Die Kreisstadt weist darauf hin, dass sie politischen Extremismus auf beiden Seiten des politischen Spektrums verurteilt.“. Verurteilen kann man vieles, aber gegen Missstände zu handeln ist das Entscheidende!

Auch dass Sie die Gefahr des Faschismus/Rechtsextremismus relativieren, in dem Sie, wie heutzutage scheinbar üblich, auch auf andere Arten von Extremismus hinweisen, spricht Bände (Hufeisentheorie).

Zur Information:

  • „Das Hufeisenmodell war nie zeitgemäß“, sagt Politologe Robert Feustel. Schon immer habe es die politischen Lager „fahrlässig vereinfacht“ und eine gefährliche Gleichsetzung zwischen links und rechts provoziert, so der Wissenschaftler. „Heute ist sie allerdings noch absurder als früher“, so Feustel. Während linker Stalinismus kaum noch vorhanden sei, nehme der aggressive Faschismus auf der rechten Seite immer weiter zu und sei „unüberhörbar“. 5)

Und dürfen wir Sie auf die rechtsterroristischen Anschläge der letzten Jahre hinweisen (Kassel, Halle, Hanau, usw.). Hass und Hetze nehmen permanent zu. Ihre Kolleginnen und Kollegen mit Publikumsverkehr in den Behörden werden ein Lied davon singen können. Auch die Anfeindungen gegen Polizei und Rettungskräfte haben ein unerträgliches Ausmaß angenommen. Mal ganz zu schweigen von den Vorgängen in den sogenannten „Sozialen Medien“.

Die AfD befeuert mit Ihrer Rhetorik diese Zustände (z.B. in Reden von Höcke „Mahnmal der Schande“, von Gauland „Vogelschiss“ oder „Wir werden sie jagen“ und weiteren AfD-Politiker*innen) und verschiebt den Kurs der Debatten nach rechts und gießt Öl ins Feuer.

Sie schreiben in Ihrer Pressemitteilung weiter: „Bei ihrer Gründung im Jahr 2005 wandte sich die Initiative vor allem gegen ein Erstarken der NPD im Kreisgebiet. Heute geht es der Initiative nicht zuletzt um eine politische Positionierung gegen die AfD“.

Wir fragen uns: Wo genau machen Sie den Unterschied zwischen der NPD und der AfD?

Wie zuvor dargelegt, vertritt auch die AfD verfassungsfeindliche, der „Freiheitlich demokratischen Grundordnung“ entgegenstehende Positionen. Die AfD mit ihrer Gefolgschaft und ihren Sympathisanten wollen das Land spalten und nach ihrer menschenverachtenden Ideologie umgestalten.

Ämter und Behörden sowie Polizei, Verfassungsschutz, Bundeswehr dürfen dabei kein Spiegelbild der Gesellschaft sein. Denn das würde ja bedeuten, dass dort auch Pädophile, Mörder, Rechtsextreme, usw. vertreten wären. Und das kann ja nicht im Interesse eines weltoffenen, pluralistischen und demokratischen Rechtsstaates sein, der für sich die Verteidigung der Menschenwürde auf die Fahne geschrieben hat.

Bündnisse, Zusammenschlüsse und Bürgerinitiativen, wie „Odenwald gegen Rechts“ stellen sich mit viel ehrenamtlichen Engagement dieser Entwicklung entgegen. Denn Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus, Ausgrenzung, Hass & Hetze und jede Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit führen unweigerlich ins Verderben.

Mit der Aufkündigung der Zusammenarbeit Ihrerseits werden diese Bemühungen erschwert und damit einhergehend findet ein weiterer Vertrauensverlust in Politik und staatlichen Institutionen statt.

Daher stehen wir solidarisch an der Seite der Bürgerinitiative „Odenwald gegen Rechts“ und fordern Sie auf, Ihre Entscheidung zu überdenken und die Zusammenarbeit fortzuführen. Zeigen Sie Haltung und sorgen Sie dafür, dass Erbach und der Odenwaldkreis weltoffen, bunt und menschenfreundlich bleibt – in und außerhalb von Behörden.

Das ist eine Pflicht für jede Demokratin und jeden Demokraten!

Darmstadt, den 12.05.2021

Markus Zwilling
Für das Bündnis gegen Rechts Darmstadt

Pfungstadt, den 12.05.2021

Renate Dreesen
Für Bunt ohne Braun – Bündnis gegen Rechts im Landkreis Darmstadt-Dieburg


Quellen:

1) https://www.mdr.de/zeitreise/nsdap-aufstieg-deutsches-reich100.html – vom 24.02.2021 – abgerufen 12.05.2021 – 12:00
2) https://www.zeit.de/politik/deutschland/2021-05/thueringen-verfassungsschutz-afd-landesverband-extremistisch-bjoern-hoecke – vom 12.05.2021 – abgerufen 12.05.2021 – 12:45
3) https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Fl%C3%BCgel – abgerufen 12.05.2021 – 12:57
4) https://www.erbach.de/index.php?id=252 – vom 11.05.2021 – abgerufen 12.05.2021 – 13:03
5) https://www.zdf.de/nachrichten/politik/hufeisentheorie-hufeisenschema-rechtsextremismus-afd-linke-thueringen-102.html – vom 14.02.2020 – abgerufen 12.05.2021 – 16:15

* Anm. des Verfassers