Wie kaum eine andere liberale Demokratie definiert sich die Bundesrepublik aus der Abgrenzung gegen eine totalitäre Vergangenheit und der entschiedenen Absage an jeden Rechtsextremismus. […]. Die dazu gehörigen Einstellungen – von Sympathien für autoritäre Strukturen bis hin zu antise­mitischen und fremdenfeindlichen Tendenzen – reichen sogar bis in die Mitte der Gesellschaft hinein […]. Mit den Mordanschlägen der ‚Zwickauer Terrorzelle‘ ist ihre öffentliche Wahrnehmung in eine neue Phase getreten: Seitdem wird die Frage, ob der Staat gegen den Rechtsextremismus alles getan hat, was er tun konnte, anders beantwortet, als sie vorher beantwortet wurde (Uwe Volkmann, Kampf gegen die Hydra? Der Staat und der Rechtsextremismus, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 18-19, 2012, S. 15).

Wer uns glauben machen will, die rechtsradikale Szene mache einen Bogen um den Landkreis, und so etwas wie Antisemitismus und Fremdenhass gehöre hier längst der Vergangenheit an, irrt sich gewaltig. Gewiss: Öffentliche Auftritte von Neonazis, Demonstrationen der ewig Gestrigen und ernsthafte politische Aktionen sind zum Glück hierzulande noch nicht vorgekommen und bleiben hoffentlich auch in der nächsten Zeit chancenlos. Aber offenbar gibt es abseits der Öffentlichkeit, eher im Verborgenen agierende Gruppen, die weiterhin nationalsozialistischen Gedanken nachhängen und diese weitergeben. Dazu gibt es nach wie vor Bürgerinnen und Bürger, die immer noch von anfällig sind für nationalistische. Insofern stufe ich eine neue Partei, die sich als Alternative zu den demokratischen Parteien anbietet und ernsthaft behauptet, des Volkes Stimme zu vertreten, mit ihren populistischen Parolen und ihrer Europafeindlichkeit als gefährlich ein. Hier entsteht ein neuer Nationalismus, von dem sich alle anderen demokratischen Parteien in unserem Landkreis mit Recht deutlich abgrenzen. Nationalistisches und fremdenfeindliches Denken, wie es von dieser Partei unterschwellig propagiert wird, führt sehr schnell dazu, dass Menschen mit Migrationshintergrund wieder an den Rand drängt werden, dass man andere Lebensweisen, wie etwa die der Sinti und Roma, dämonisiert und nur noch eine einzige Leitkultur, befreit von allen angeblich fremden Elementen anerkennt. Die hierzulande längst Realität gewordene multikulturelle Gesellschaft, die uns allen in ihrer Vielfalt Bereicherung im täglichen Leben verschafft, wird hier negiert.

Es besteht also akuter Handlungsbedarf, will man dem ganz offensichtlich stärker werdenden Unwesen der Neonazis und Rechtsradikaler einen Riegel vorschieben. Inzwischen gibt es in allen Nachbarkreisen und in der Stadt Darmstadt „Bündnisse gegen Rechts“ – nur in unserem Landkreis fehlt bislang eine dahingehende Initiative – sieht man von einzelnen Projekten und Aktionen auf gemeindlicher Ebene ab. Auch im Landkreis Darmstadt-Dieburg muss vor diesem Hintergrund die Frage nach rechtsextremen Aktivitäten im Kreisgebiet neu gestellt werden. Aus dieser Erkenntnis heraus hat die Kreistags-Frak­tion DIE LINKE mit einem Antrag vom 12. Januar 2012 (Vorlage Nr. 592/12) zum Thema „Mord und Verbrechen durch rechte Terroristen in Deutschland und Hessen“ den Anstoß dazu gegeben, im Landkreis aktiv zu werden. In diesem Antrag, der „mit tiefster Empörung die menschenverachtenden Verbrechen der Gruppe ‚Nationalsozialistischer Untergrund‘ verurteilt, wurde u.a. die Hessische Landesregierung aufgefordert, alles dazu beizutragen, „um öffentlich Klarheit herzustellen über die Gründe der Fehleinschätzungen sowie [über] mögliches Fehlverhalten und Unterstützung rechter Strukturen durch die Sicherheitsbehörden.“

Neben konkreten Forderungen an die hessische Landesregierung wurde danach der Kreisausschuss beauftragt, „verstärkt antifaschistische Aufklärung zu betreiben“, etwa durch Organisierung des Be­suchs von Gedenkstätten und die Ausschreibung eines thematisch auf „Verfolgung und Widerstand im Gebiet Darmstadt und Dieburg“ konzentrierten Jugendwettbewerbs.

Da darüber noch Klärungsbedarf bestand, wurde dieser Antrag in der Kreistagssitzung vom 13. Febru­ar 2012 einvernehmlich zurückgestellt, mit der Maßgabe, dass das Präsidium des Kreistages eine fraktionsübergreifende Arbeitsgruppe einsetzt, die bis zum Juni 2012 einen Bericht über rechtsextre­me Aktivitäten und die Reaktionen darauf erarbeitet. Es wurde offen gelassen, welche Folgerungen daraus gezogen werden.

Dieser Beschluss wurde in einem Schreiben des Präsidiums vom 23. Februar 2012 an alle Fraktionen mitgeteilt, mit der Bitte, aus den Fraktionen heraus je eine/n Vertreter/in für die AG zu benennen. Zugleich wurde vorgeschlagen, den stv. Vorsitzenden des Schul-, Kultur- und Sportausschusses, Herrn Prof. Dr. Friedrich Battenberg, mit dem Vorsitz dieser AG zu betrauen. Auch ein/e Vertreter/in des Kreisausländerbeirats sollte hinzu gezogen werden.

Die aus Vertretern und Vertreterinnen aller Parteien und des Kreisausländerbeirats bestehende Arbeitsgruppe des Kreistags nahm daraufhin ihre Arbeit auf und tagte in regelmäßigen Abständen im Kreishaus, teilweise unter Hinzuziehung einschlägiger Experten. Darüber hinaus wurde eine Umfrage unter allen kreisangehörigen Gemeinden durchgeführt, um Aktivitäten rechtsextremer Gruppen und weitere einschlägige Vorkommnisse im Kreis ebenso wie eventuelle Gegenmaßnahmen und präventive Aktivitäten der Gemeinden festzustellen.

Aus allen dabei gesammelten Informationen ergab sich das Gesamtbild, dass zurzeit innerhalb des Landkreises nur vereinzelte rechtsextreme Aktivitäten bekannt wurden. Dennoch ist Wachsamkeit geboten ist. Verschiedentlich wurde darauf hingewiesen, dass eine unmittelbare Reaktion auf ver­dächtige Aktionen einzelner Jugendlichen nicht ausreicht, sondern dass Eltern und die ältere Genera­tion einbezogen werden müsse. Es müsse generationenübergreifend eine Sensibilisierung für rechts­extreme Codes, die von Jugendlichen teilweise unwissend benutzt werden, geschaffen werden. Auch die Erinnerungsarbeit und die Vermittlung der Kenntnis der antisemitischen Vergangenheit müsse verstärkt betrieben werden, auch um das Bewusstsein für die demokratischen Werte unserer Gesell­schaft zu stabilisieren. Als gefährlich für Jugendliche wurden Musik-CDs mit auf dem ersten Blick unverdächtigen und eingängigen Melodien eingestuft, die erst bei genauem Zuhören rechtsextremes bzw. nationalsozialistisches Gedankengut erkennen ließen. Das gleiche galt auch für elektronische Medien, da hier nur unzureichend Kontrollen durch Eltern oder Erzieher ausgeübt werden können.

Websites gegen Rechtsextremismus gibt es einige (z.B. das Portal des Friedrich-Ebert-Stiftung gegen Rechtsextremismus, die Newsletter der Amadeo Antonio-Stiftung), doch nicht speziell auf Südhessen oder den Landkreis Darmstadt-Dieburg bezogen. Regional aktiv ist das ‚beratungsNetzwerk hessen – Mobile Intervention gegen Rechtsextremismus‘, das an der Universität Marburg angesiedelt ist. Wie­tere Netzwerke wurden von Polizeistellen angeboten, aber auch auf die Kompetenz von ‚Bündnissen gegen Rechts‘ wie im Odenwaldkreis und im Landkreis Bergstraße, wurde immer wieder hingewie­sen.

Wesentliches Ergebnis der Beratungen der Kreistags-Arbeitsgruppe war, dass die Kreisverwaltung alle ihre Zuständigkeiten in Sachen Abwehr des Rechtsextremismus in e i n e r Abteilung (Volkshochschule) bündelte und vorbereitende Schritte zur Gründung eines „Bündnisses gegen Rechts“ unternahm. Auf Initiative der Verwaltung – es waren dies namentlich der Kreisbeigeordnete Christel Fleischmann und der Leiter der Kreis-Volkshochschule, Karl-August Bertsch – ein „Runder Tisch“ einberufen (konkret organisierte von Wolfgang Schäfer von der VHS), an dem sich erfreulicher Weise zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter von gesellschaftlich agierenden Institutionen und Organisationen beteiligten. Nach heftiger Debatte wurde die Gründung eines solchen Bündnisses vorgeschlagen, dem der vorläufige Name „LaDaDi – BUNT OHNE BRAUN – BÜNDNIS GEGEN RECHTS“ gegeben wurde. Gleichzeitig wurde die folgende Erklärung an die Presse gegeben:

Die nächtliche Entwendung von gerade erst zum Gedenken an verschleppte und er­mordete jüdische Bürger/innen verlegten ‚Stolpersteinen‘ in Gräfenhausen wie auch schon der wenige Zeit vorher geschehene Diebstahl an ‚Stolpersteinen‘ in Griesheim und schließlich die Zertrümmerung von Rathausfensern in Seeheim Jugenheim mit eben diesen Steinen am Vorabend des 75. Jahrestages der Reichspogromnacht ist eine der zahlreichen Vorfälle, die erneut deutlich machen, dass rechtsextreme, anti­semitische und fremdenfeindliche Kräfte auch im Landkreis Darmstadt-Dieburg ihr Unwesen treiben. Die Steinwürfe galten uns allen, den Wohnzimmern jedes Bürgers und jeder Bürgerin, nicht nur einer Gemeinde.

Wir, die AG ‚Rechtsradikalismus‘ des Kreistages Darmstadt-Dieburg, wollen deshalb zur Stärkung des demokratischen Bewusstseins und Handelns wie zur Bekämpfung aller demokratiefeindlichen, rechtsradikalen und fremdenfeindlichen Aktivitäten in un­serem Landkreis durch Aufklärungsveranstaltungen, Vorträge, Ausstellungen, De­monstrationen und andere geeignete Formate unseren Teil dazu beitragen, dass Fremdenfeindlichkeit, Rechtsradikalismus und Antisemitismus in unserer Region keine Chance haben.

Zu diesem Zweck haben wir die Initiative dazu ergriffen, ein von bürgerschaftlichem Engagement getragenes Netzwerk unter dem Namen ‚LaDaDi: Bunt ohne Braun – Bündnis gegen Rechts‘ zu gründen. Wir rufen alle interessierten Menschen ebenso wie alle einschlägig arbeitenden Organisationen und Gruppen zur aktiven Mitarbeit auf.

Mit dieser Erklärung sollte ein Anfang gemacht werden. Sehr bewusst wurde der Gedenktag zur Befreiung vom Nationalsozialismus, der 8. Mai 2014 für eine Gründungsversammlung gewählt, weil allen Beteiligten schmerzlich bewusst wurde, dass die äußere Befreiung von einer menschenfeindlichen Diktatur noch nicht überall die innere Befreiung von faschistischem Gedankengut bewirkt hat. Denken in Kategorien des Obrigkeitsstaates, in einer Verherrlichung des deutschen Nationalstaates, in einer Anfeindung alles Nichtdeutschen, in Fremdenhass, auch gegenüber deutschen Bürgerinnen und Bürgern muslimischen Glaubens: Das alles ist nach wie vor nicht überwunden. Es wurde leider oft auch von einer älteren Generation, die den Nationalsozialismus noch miterlebt und dessen Ende innerlich noch nicht angenommen hatte, an eine jüngere Generation vererbt. Noch immer erhoffen sich viele, die hier infiziert wurden, den „starken Mann“, der Deutschland zu neuer Größe führt und den Europa-Gedanken zu den Akten legt.
Das damit endgültig ins Leben gerufene Bündnis gegen Rechts soll daran arbeiten, dass der äußeren Befreiung vom 8. Mai 1945 eine innere Befreiung von nationalsozialistischem Gedankengut und von nationalistischem Denken zulasten von Ausländern folgt. Durch Aufklärung und Bildung, durch ein entschlossenes Flagge-zeigen gegen alle undemokratischen Kräfte soll unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung stabilisiert und gegen Gefährdungen von Rechts gefestigt werden. Der Name dieses Bündnisses ist für uns Symbol: „Bunt ohne Braun“ heißt, dass wir eine Gesellschaft der kulturellen Vielfalt wollen, zu der jeder seinen Beitrag erbringen kann. Ausgeschlossen werden müssen nur die undemokratischen Kräfte, die noch immer in Kategorien des Obrigkeitsstaats denken und sich einer demokratischen Kultur nicht öffnen wollen.
Von diesem Bündnis gegen Recht ist zu wünschen, dass es zur Stärkung des demokratischen Bewusstseins im Landkreis beiträgt, dass es von Menschen mit Leben gefüllt wird, die ihre Erfahrungen mit unserer demokratischen Kultur so überzeugend weitergeben, dass in unserem Landkreis das rückwärtsgewandte, nationalistische, rechtsradikale und antisemitische Denken keine Chance mehr hat. Ich wünsche mir aber auch, dass in den Medien, besonders in unserer Tageszeitung, unser nun beginnendes Projekt mehr Aufmerksamkeit erhält als bisher.