Beschlussvorschlag:
1. Der Kreistag Darmstadt-Dieburg verurteilt die aus den Medienberichterstattungen bekannt gewordenen menschenverachtenden Verbrechen der Gruppe ‚Nationalsozialistischer Untergrund‘. Er fordert – nicht zuletzt im Interesse der Opfer und ihrer Familien – eine vollständige politische und juristische Aufarbeitung der Geschehnisse sowie eine Verurteilung der Täter und Unterstützer der Terrorzelle durch die jeweils zuständigen staatlichen Organe des Bundes und der Länder. Diese werden aufgefordert, soweit wie möglich dazu beizutragen, dass öffentlich Klarheit über die Hintergründe der rechtsextremistischen Aktivitäten, über die Ursachen für Fehlverhalten staatlicher Organe und über Verstrickungen der Sicherheitsbehörden mit der rechtsextremen Szene gewonnen wird.
2. Der Kreistag fordert den Kreisausschuss auf, folgende Vorschläge umzusetzen:
2.1. Verwaltungsinterne Bündelung aller Zuständigkeiten (Jugend, Soziales, Kultur, Schule, Erwachsenenbildung etc.) mit Beauftragung einer/einem Verantwortlichen zur Koordination von Aktionen und Präventionsmaßnahmen bei rechtsextremistischen Vorkommnissen sowie zur Berichterstattung gegenüber den zuständigen Ausschüssen des Kreistags (GGSA, SKSA).
2.2. Zusammenarbeit mit den jeweils zuständigen Ämtern der Gemeinden sowie anderen Stellen (Polizei; Schulamt, Kirchen, Gewerkschaften, Sportvereinen etc.), um kreisweit schnelle Reaktionen auf etwaige lokale rechtsextreme Aktivitäten zu ermöglichen. Hilfreich wäre dabei der Aufbau einer zentralen Datei und einer Koordinierung der Beratungsangebote.
2.3. Erweiterung der Angebote der Erwachsenenbildung (Volkshochschule) und der
Jugendarbeit (Jugendbildungswerk) zur Stärkung der demokratischen Kompetenz und des bürgerschaftlichen Engagements gegen Rechtsextremismus.
2.4. Durchführung von Veranstaltungen gegen Rechtsextremismus und Präsentation von Ausstellungen (auch anderweit erarbeitete mobile ‚Fremdausstellungen‘; beispielhaft sei hingewiesen auf die Ausstellung „Versteckspiel: Lifestyle, Symbole und Codes von neonazistischen und extrem rechten Gruppen“, aufgebaut von der „Agentur für soziale Perspektiven e.V., 2009), auch als Wanderausstellungen zur Nutzung durch die Gemeinden. Dazu zählen auch Angebote zum Besuch von Gedenkstätten in erreichbarer Nähe und die Vermittlung von Vorträgen. Das geplante Kreisarchiv könnte hier eine koordinierende Rolle spielen.
2.5. Prüfung, ob Wettbewerbe zur Stärkung der demokratischen Kompetenz ausgeschrieben werden können, und ggf. Erarbeitung von geeigneten Vorschlägen. Im Rahmen des unter Punkt 2.1 zu erstellenden Berichts.
2.6. Anstoß zur Bildung eines ‚Bündnisses gegen Rechtsextremismus‘ auf der Ebene des Landkreises, getragen von Bürgerinnen und Bürgern, kreisangehörigen Gruppen und Organisationen in regionaler Kooperation mit Netzwerken in den benachbarten Kreisen, der Stadt Darmstadt und der agah (AG der Ausländerbeiräte in Hessen). Hierbei ist durch einen öffentlichen Gründungsaufruf die Öffentlichkeit in geeigneter Form einzubeziehen.
Begründung:
„Wie kaum eine andere liberale Demokratie definiert sich die Bundesrepublik aus der Abgrenzung gegen eine totalitäre Vergangenheit und der entschiedenen Absage an jeden Rechtsextremismus. […]. Die dazu gehörigen Einstellungen – von Sympathien für autoritäre Strukturen bis hin zu antisemitischen und fremdenfeindlichen Tendenzen – reichen sogar bis in die Mitte der Gesellschaft hinein […]. Mit den Mordanschlägen der ‚Zwickauer Terrorzelle‘ ist ihre öffentliche Wahrnehmung in eine neue Phase getreten: Seitdem wird die Frage, ob der Staat gegen den Rechtsextremismus alles getan hat, was er tun konnte, anders beantwortet, als sie vorher beantwortet wurde. (Uwe Volkmann, Kampf gegen die Hydra? Der Staat und der Rechtsextremismus, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 18-19, 2012, S. 15)
Auch im Landkreis Darmstadt-Dieburg muss die Frage nach rechtsextremen Aktivitäten im Kreisgebiet neu gestellt werden. Die Fraktionen des Kreistags haben den Antrag der Fraktion DIE LINKE vom 12. Januar 2012 (Vorlage Nr. 592/12) zum Anlass genommen, den o.a. fraktionsübergreifenden Antrag zu erarbeiten. Zu dessen weiterer Begründung wird auf den dem Kreistag vorgelegten Bericht vom 06. 06. 2012 verwiesen, der in seiner aktualisierten Fassung vom 13. 06. 2012 in der Anlage beigefügt wird.
Um die unter Punkt 2.6. benannten Ziele zu erreichen, sollte der Kreisausschuss zusammen mit dem Kreistag den genannten Gründungsaufruf in den regionalen Medien veröffentlichen und zugleich zu einer konstituierenden Sitzung einladen. Die Arbeit eines solchen Netzwerks kann vom Landkreis nur begleitet werden, muss aber von den Bürgerinnen und Bürgern des Landkreises in eigener Verantwortung getragen werden. Möglichst frühzeitig müssen Kooperationspartner (Punkt 2.2.) einbezogen werden.